Wenn Science-Fiction Wirklichkeit wird!

Was die COVID-19-Pandemie mit der Klimakrise verbindet. Wie das mit „Außerirdischen“ zusammenhängt und warum der Weg aus der Krise mit dem Kickstart eines Autos vergleichbar ist.
 

Foto: Gerd Altmann, pixabay.com

Ein Kommentar von Christian Salmhofer (Klimabündnis Kärnten)
und Andreas Strasser (Mitbegründer des Klimabündnis Österreich)

Eine Klimaperiode – 30 Jahre Klimabündnis

Aktuell haben wir durch die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie immense wirtschaftliche und politische Verwerfungen zu erwarten. Was es braucht, ist eine globale Perspektive. Ähnlich der 563 AstronautInnen, die seit 1961 die Erde von außen sehen konnten, sind wir als Menschheit gefordert, unseren Planeten in seiner Gesamtheit zu begreifen. Die COVID-19-Pandemie und die Klimakrise zwingen uns dazu. Nun müssen wir im Schnellverfahren lernen, was das Menschsein ausmacht. Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Lage des Erdballs, die über Jahre verdrängt oder verwässert wurden, können nicht mit Verschwörungsmythen gelöst werden.

"Wir Außerirdischen“

Auf der einen Seite erweiterte die „außerirdische“ Wahrnehmung den Wissenshorizont der Menschheit immens, auf der anderen Seite hat das Bodenpersonal des Planeten noch Probleme, die Erkenntnisse der „Außerirdischen“ anzuerkennen. Wir haben die paradoxe Situation, dass die ganzheitliche Sicht auf unsere Erde, welche die Klimakrise einfordert, von unsichtbaren Viren erstmals auf die Probe gestellt wird. Das Virus macht – genauso wie die klimarelevanten Gase – nicht an den nationalen Grenzen halt. Beide Krisen verteilen sich rund um den Erdball und betreffen die gesamte Menschheit. Beide Krisen können nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden.

Man könnte es plakativ so ausdrücken: Wer achtlos das Virus weitergibt, gefährdet das Leben unserer Großeltern. Wer achtlos CO2 freisetzt, gefährdet das Leben unserer Enkel. Beide Krisen können nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden. Es ist nun der richtige Zeitpunkt, dass uns klar wird: „Wir sind die Ersten in der Menschheitsgeschichte, die die Erde als „Außerirdische“ sehen können! 

Klimakrise & COVID-19 basieren auf wissenschaftlicher Erkenntnis

Ein unsichtbares Virus hat uns zu weltweiten Maßnahmen gezwungen, die vor ein paar Monaten selbst für Science-Fiction-AutorInnen ins Reich der Fantasie gehörten. Das tödliche Virus hat die Welt zum Stehen gebracht. Die Klimagase sind ebenso unsichtbar, aber sie greifen uns nicht direkt an. Sie rufen auch keine unmittelbaren Emotionen hervor. Man kann sie außerdem nicht bekämpfen, sondern lediglich vermeiden. Wie in der COVID-19-Krise müssen auch in der Klimakrise Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz getroffen werden.

Die wissenschaftlichen Fakten sind wesentlich klarer als in der Corona-Frage. Die nächsten fünf Jahre, das  ist der Zeitraum, der ganz wesentlich über die Zukunft der Menschheit entscheidet. Durch konsequente Klimaschutzmaßnahmen kann jetzt die Klimakrise noch so weit abgemildert werden, dass wir große, irreversible Veränderungen und deren katastrophale Konsequenzen vermeiden“. Mit dieser Dringlichkeit fordern die renommiertesten KlimawissenschafterInnen Österreichs, dass auch die Klimakrise die gleiche Professionalität wie die COVID-19-Pandemie erfährt. 

Klimakrise & COVID-19 brauchen globale Lösungen

Wie die COVID-19-Pandemie erfordert die Klimakrise internationale Zusammenarbeit und Solidarität. Hier gibt es großen Nachholbedarf. Denn „Klimaschutz“ im Alltag wird bei uns häufig von technokratischen Problemlösungen dominiert. Es geht meist um Mobilität und Wohnen, um Energiesparen und Effizienz, aber kaum um Resilienz. Die unbequemen Fragen, die die Folgen unserer Lebensweise betreffen, werden fast immer ausgeklammert. Beispielhaft dafür sind Palmöl und Soja im Tierfutter sowie im Biosprit. Hier wird entlang der globalen Lieferkette im großen Stil ausgebeutet.

Ob von WissenschafterInnen oder indigenen Völkern – Warnrufe gab es genug. Wir sollten uns nur an die alljährlichen Brände in Südamerika erinnern. Erst letztes Jahr galt unsere ganze Aufmerksamkeit den Feuersbrünsten im Sommer auf der Südhalbkugel. Sie waren so weitläufig, dass sie vom Weltall aus sichtbar waren. Aus der Ruhe ließ sich damit trotzdem niemand bringen. Erst die persönliche Bedrohung und Betroffenheit durch das unsichtbare Corona-Virus hat uns die globalen Zusammenhänge schlagartig bewusst gemacht.

Dabei sollte es allen Staaten der Erde seit dem Erdgipfel in Rio 1992 klar geworden sein, dass nur fairer Handel nach ökologischen Kriterien das Überleben der Menschheit sichert. Insbesondere unsere Freundinnen und Freunde in Amazonien haben uns immer wieder mit Nachdruck daran erinnert: „Es ist euer Geld und eure Gier, die den Regenwald und unsere Lebensgrundlage zerstört!“ Das Klimabündnis definierte sich 1995 mit folgendem Spruch: „Damit´s im Herzen wärmer wird und nicht in der Atmosphäre!“ Er hat seine Gültigkeit nicht verloren. 

Klimakrise & COVID-19 – Zeit zum Handeln

Auf den ersten Blick haben die Brände und das Abholzen von Regenwäldern nicht viel mit Infektionskrankheiten zu tun. Aber schaut man genauer hin, erkennt man die Zusammenhänge: Durch die Waldrodungen verlieren Tiere ihre Lebensräume. Sie müssen neue aufsuchen, die immer näher an der menschlichen Zivilisation liegen. Gestresste Tiere sind darüber hinaus anfälliger für Krankheiten, die dann auch leichter übertragen werden. Man denke an die Virusübertragungen von Fledermäusen auf Menschen. Der Epidemiologe vergleicht das mit dem Herpesvirus und der Entstehung einer Fieberblase: „Wenn Menschen, die den Herpesvirus in sich tragen, Stress haben, wird ihr Immunsystem schwächer und sie entwickeln eine Fieberblase auf ihren Lippen. Über diese Fieberblasen kann das Virus auf andere Menschen übertragen werden. 

Klimakrise & COVID-19 ­– Eine Wunde, die wir uns selbst zugefügt haben

WissenschafterInnen gehen davon aus, dass rund 30 Prozent der Infektionskrankheiten auf Landnahme wie die Abholzung von Regenwald zurückgehen. „Wir sind die Ursache für fast alle neu auftretenden Krankheiten", meint der Zoologe Pater Daszak. „Wir holzen Wälder ab, bauen Straßen in entlegene Gebiete, pflanzen Soja, Palmöl und Getreide an, intensivieren die Tierhaltung und handeln mit Wildtieren.

Je mehr Tiere zusammen auf einer kleinen Fläche gehalten werden, desto leichter können Viren zirkulieren und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie früher oder später auf den Menschen überspringen“, so der Virologe Peter Rottier, der 40 Jahre lang Coronaviren erforschte.

Ähnlich formuliert es Ian Lipkin: „Diese Viren entstehen in der Natur und ehrlich gesagt, das ist eine Wunde, die wir uns selbst zugefügt haben. Ohne Armut, Zerstörung unserer Habitate, Zwangsmigration und viele andere Gründe wie Waldsterben gäbe es viel weniger Risiko. Das sind alles Dinge, die wir uns selbst antun. Wir haben nun alle drei bis fünf Jahre eine Pandemie irgendwo auf der Welt und nun weltweit.“ Historische Erfahrungen und Erkenntnisse machten deutlich, dass Epidemien seit etwa 1940 nicht nur häufiger auftreten, sondern ihrer Eindämmung auch mit einem immer größeren technischen und wirtschaftlichen Aufwand begegnet werden muss. 

Klimakrise & COVID-19 – Resilienz statt Effizienz

Das Auftauchen von Viren lässt sich am besten mit dem Schmetterlingseffekt beschreiben. Der Erfinder der Chaostheorie, der Meteorologe Edward Lorenz,  hat diesen Effekt am Beispiel des Wetters veranschaulicht. Er stellte sich 1960 die Frage: „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“ Er erkannte, dass für komplexe Systeme gilt: „Kleinste Ursachen haben höchst unterschiedliche Wirkung“ und „kleinste Ursachen können größte Wirkung haben.

Analog zur Chaostheorie des Wetters kann man auch folgenden Gedanken spinnen: „Wer hätte bis vor Kurzem gedacht, dass ein unsichtbares Virus ausgehend von einem wet market die Menschheit in Schockstarre versetzen kann?“ 

Klimakrise & COVID-19 – Science Fiction und Wirklichkeit

2019 erregte die monumentale Installation „For Forest“ von Klaus Littmann im Klagenfurter Fußballstadion internationale Aufmerksamkeit. 299 rund 14 Meter hohe Bäume wurden im Sommer im Spielfeld des Wörthersee Stadions eingesetzt. Der Wald im Stadion stellte das Bild Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur von Max Peintner aus den Jahren 1970/71 nach. Das Projekt diente als Mahnmal dafür, dass die Selbstverständlichkeit der Natur eines Tages nur noch in ihr speziell zugewiesenen Gefäßen zu bestaunen wäre, wie das bereits heute mit Tieren im Zoo der Fall ist. Wie konnte man nur einen Wald auf ein Fußballfeld übertragen? Für viele eine unerhörte Provokation. Dennoch gab es dort jeden Abend ein großes Spektakel zu sehen. Hunderte Fledermäuse stürzten sich auf die Mücken, die im Flutlicht tanzten. Ein paar Monate später mussten aufgrund eines unsichtbaren Gegners, des Corona-Virus, welcher ebenfalls 2019 still und leise mitten in China seinen Weg von der Fledermaus zum Menschen gefunden hat, weltweit die Stadien geschlossen werden. Teilweise wurden sie sogar zu Notquartieren umfunktioniert. Max Peintner hat 1970/71 sicher nicht im Traum daran gedacht, dass Science-Fiction und Wirklichkeit so verschmelzen können. Nicht einmal die Schamanen im Regenwald hätten sich eine solche Geschichte ausdenken können. Sie wären für verrückt erklärt worden. 

Nach COVID-19 - Der Weg aus der Klimakrise

Flugpionier und Umweltaktivist Bertrand Piccard hat es pointiert formuliert: „Was hatten wir vor COVID-19? Eine Wirtschaft, die es kaum schaffte, den Menschen Arbeit zu geben. Eine Ökonomie, die ihre Ressourcen erschöpft und giftige Schadstoffe produziert, vom Klimawandel ganz zu schweigen. Dazu Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände und steigende Meeresspiegel.“ Die künftigen Geldströme müssten vor allem in die Bereiche nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energie, Gebäudesanierung, Forschung, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft fließen. Ottmar Edenhofer, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, vergleicht den Wiederaufbau einer Ökonomie durch Konjunkturprogramme mit dem Kickstart eines Autos: "Wer den Karren aus dem Graben holen will, darf eben „nicht das Lenkrad zum Fenster rauswerfen, nur weil er aufs Gaspedal treten will“. Mit anderen Worten: Nicht nur der Motor muss brummen, auch auf die Richtung kommt es an.

X

Durch die Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich mit dem Einsatz von Cookies einverstanden. Mehr Informationen